Konfuzianismus zum ersten

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Referat im Fach Marketing im zweiten Semester. Auszüge davon dienten im vierten Semester für das Referat im Fach Interkulturelle Kommunikation - Schwerpunkt China als Grundlage.

Der Einfluß des Konfuzianismus auf zwischenmenschliche Kontakte und Kommunikationsmuster in Ostasien

1. Einführung

Neue Technologien in der Kommunikation haben viele der physischen Grenzen zwischen Ost und West, die Kommunikation bisher weitgehend verhinderten, inzwischen beseitigt, aber es bleiben noch genügend philosophische und kulturelle Grenzen übrig, die nicht so einfach zu verstehen sind. Trotzdem wurden die Gelegenheiten zur Verständigung zwischen verschiedenen kulturellen Gruppen inzwischen stark verbessert. Dies hat mittlerweile einige Gelehrte für die Notwendigkeit sensibilisiert, die Einstellung der asiatischen Bevölkerung zur Kom-munikation zu studieren.

Die meisten kulturübergreifenden Studien zur Kommunikation beschreiben lediglich fremde Kommunikationsmuster und vergleichen sie dann mit denen in Nordamerika, selten aber dringen sie tiefer unter die Oberfläche vor, um die Ursachen dieser Unterschiede herauszuarbeiten und zu erforschen. Dies nimmt June Ock Yum zum Anlaß, im zugrundeliegenden Artikel hinter diese Grenzen zu blicken, um die philosophischen Wurzeln der Kommunikation in Ostasien zu erforschen, erst dann sollen sie mit Nordamerika verglichen werden. Voraussetzung hierfür ist, daß Kommunikation ein grundlegender sozialer Prozeß ist, und als solcher durch die philosophischen Wurzeln und Wertordnungen seiner jeweils zugrundeliegenden Gesellschaft beeinflußt wird.

Durch das Anwenden gewisser kultureller Einflüsse auf große geographische Gebiete entsteht zwangsläufig ein schiefes Bild. Obwohl wir meist von "östlichen" oder "asiatischen" Einflüssen reden, gibt es gerade in dieser Region eine große Anzahl von Vorbildern, die oft einander genau entgegengesetzt sind. Zum Beispiel mag es durchaus stimmen, daß Asiaten gläubiger sind, als die Bewohner der westlichen Welt. Dies allerdings trifft eher auf Indien zu, während Chinesen, Koreaner oder Japaner eher nicht so metaphysisch Denken, wie westlich ge-prägte Menschen, so führt Nakamura 1964 in seinem Buch "Ways of thinking of Eastern Peoples" aus. Aus die-sem Grunde bezieht Professor June Ock Yum ihren Artikel auf den oben genannten chinesischen, koreanischen und japanischen Kulturkreis in Ostasien, die am meisten durch die philosophischen Prinzipien des Kon-fuzianismus beeinflußt werden. Es kann vorausgesetzt werden, daß andere Länder, die vom Konfuzianismus beeinflußt werden, ähnliche Charakteristiken aufweisen, wie das Beispiel Vietnam beweißt, das einzige Land in Südostasien, das mehr von China als von Indien beeinflußt wurde. Wie D.Lace und J. Summer 1969 in ihrem Buch "Viet-Nam-the Unheard Voices" ausführen, liegt in diesem Land eine starke Betonung auf dem Gebiet der zwischenmenschlichen, sozialen Bindungen und der Unterwerfung unter einen hierarchisch dominierten Familienverband, wie er Grundlage und geistiger Inhalt konfuzianistischer Lehren ist.

2. Soziale Bindungen statt Individualität

Vergleicht man Ostasien und Nordamerika, so stellt man fest, daß der Schwerpunkt in Ostasien auf sozialen Bindungen liegt, während in Nordamerika die Individualität eine große Rolle spielt. Hofstede ("Cultures Consequences" 1980) bezeichnet Individualität/ Gemeinschaft als einen der wichtigsten Gradmesser, um Kulturen zu unterscheiden. Er definiert die Individualität als gefühlsmäßige Unabhängigkeit Einzelner von Gruppen, Organisationen oder anderen Vereinigungen. Parsons,Shils und Olds (1951) bezeichnen Eigenorientierung statt Gemeinschaftsorientierung als eine der fünf grundlegenden veränderlichen Muster, die menschliches Han-deln definieren. Eigenorientierung liege dann vor, wenn ein Mensch in einer bestimmten Situation im Sinne eige-ner, privater Interssen entscheide, ohne seine Haltung gegenüber Interessen oder Werten der Gesellschaft zu berücksichtigen, statt im Gegenteil gerade die Interessen oder Werte der Gemeinschaft zugrundezulegen.

Die Zweiteilung in Individualität und Gemeinschaft stimmt aber nicht mit dem Unterschied zwischen Ostasiatischer Bevorzugung sozialer Bindungen und Nordamerikanischer Bevorzugung der Individualität überein. Die Bewohner Ostasiens bevorzugen eher echte soziale Bindungen und ihre Erhaltung anstelle einer abstrakten Beziehung zu einer wie auch immer gearteten Gemeinschaftsorganisation. Es ist eigentlich eher eine Bindung zwischen solchen, die in einem sozialen Geflecht verstrickt sind. Eine kürzlich veröffentlichte Studie über die chinesische Wertordnung bestreitet, daß der konfuzianische Wertbegriff der Gegenseitigkeit mit Hofstedes Individualität/ Gemeinschaft vergleichbar ist (Chinese Culture Connection, 1987). Hui und Triandis empfahlen 1986 in ihrer Studie im "Journal of Cross-Cultural Psychology" den Kollektivismus auf zweierlei Weise zu sehen: (1.) als eine Beziehung in einer bestimmten Untergruppe von Menschen oder (2.) als eine Beziehung zwischen den Menschen allgemein.

Im Jahre 1830 benutzte der französische Sozialphilosoph Alexis de Tocqueville den Ausdruck "Individualität" um die bemerkenswerteste Eigenschaft des Amerikanischen Volkes zu beschreiben. Bellah, Madsen, Sullivan, Swidler und Tipton(1985; pp.vii, 142) stimmen darin überein, daß Individualität das Herz der amerikanischen Kultur ist. Individualität ziehe sich unerbittlich durch die Geschichte Amerikas, und auch heute noch glaube es an die Würde, ja Heiligkeit der Individualität. Alles, was gegen das Recht der Amerikaner, an sich selbst zu denken, gegen ihr Recht auf Selbstbestimmung, gegen ihr Recht auf eigene Entscheidungen und dagegen spricht, ihr Leben so zu leben, wie sie es wollen, ist nicht nur unmoralisch, sondern auch ein Sakrileg. Varenne sagte 1977, es gebe kein System von Prinzipien, das zwischenmenschliche Beziehung in Amerika regelt, außer Individualität.

Trotzdem wollen sich viele Amerikaner zusammenschließen; Individualität ist das Wichtigste für sie, aber sie werden vom Wunsch getrieben, sich von der Vergangenheit zu lösen und sich selbst zu definieren. Allerdings schließen sich die Amerikaner überwiegend in Organisationen zusammen, die man willkürlich betreten oder verlassen kann. Varenne sagt (1977), Amerikaner verstehen Sozialstrukturen nicht als System von verschiedenen Gruppen, die eine Art Symbiose bilden, sondern eher als Gemeinschaft von Individualisten, die sich treffen, um irgendetwas zu machen.

Unter Berücksichtigung dieser kulturellen Orientierung überrascht es nicht, daß das dominierende Merkmal der Kommunikation in Nordamerika die Individualität ist. Jeder Sender ist ein eigenes Individuum, das sich in ver-schiedenen gemeinsamen Aktivitäten engagiert, um seine Eigeninteressen voranzutreiben.

Im Gegensatz dazu steht die bemerkenswerte Eigenschaft der Ostasiaten, nämlich die soziale Bindung. Hall und Beadsly (1965) warnen, verglichen mit Ostasiatischen Ländern befinde sich Nordamerika noch in der Steinzeit, jedenfalls im Hinblick auf ihre sozialen Strukturen. Diese frühe ostasiatische Hinwendung zur Gemeinschaft stammt von den Lehren des Konfuzianismus.

3. Konfuzianismus

Der Konfuzianismus hat sich in Ostasiens Philosophie- und Kulturgeschichte als grundlegendes soziales und politisches Wertesystem über 1000 Jahre lang gehalten. Ihre einzigartige Stellung geht auf die chinesische Han-Dynastie zurück. 174 v. Chr. opferte der erste Han-Kaiser auf dem Grab des Konfuzius, das auch heute noch erhalten ist. Auch die Nachfolger dieses ersten Kaisers folgten diesem Ritual (besonders zur Frühjars-Tag-und-Nacht-Gleiche). 555 n. Chr. wurden per kaiserlichem Befehl in jeder Provinzhauptstadt des Reiches Tempel für Konfuzius errichtet; es dauerte noch bis 1906, dann wurde er durch Edikt de höchsten Gottheiten des Himmels und der Erde gleichgestellt.

Auch die Koreanische Yi-Dynastie verehrte ihn über 500 Jahre lang als Staatsphilosophie, genauso, wie in Japan seit Shogun Tokugawa der Konfuzianismus über 250 Jahre lang die wichtigste Philosophie des Staates war.

Institutionalisiert wurde der Konfuzianismus in offiziellen Lehrplänen und durch einen Selektionsprozeß des Staates. Klassischer Konfuzianismus war in den Schulen in der chinesischen, koreanischen und japanischen Geschichte in den Lehrplänen enthalten, bevor es moderne Lehrpläne gab.

Ein anderer Grund für den weit stärkeren Einfluß des Konfuzianismus (verglichen mit anderen religiös-philosophischen Systemen wie Buddhismus/ Taoismus) ist, daß der Konfuzianismus praktisch und gegenwartsorientiert ist. Ein Student namens Tzu-Lu fragte Konfuzius einst, wie man Geistern dienen können. Konfuzius antwortete: "Wenn man nicht einmal den Menschen dienen kann, wie kann man dann den Geistern dienen?" Zum Thema Tod sagte Konfuzius: "Wenn du nicht das Leben verstehst, wie kannst du dann den Tod begreifen?" (McNaughton, 1974). Max Weber kommentiert, Konfuzianismus sei Rationalistisch, da er frei von jeglicher Metaphysik sei und keinerlei Spuren einer religiösen Basis enthalte. Außerdem sei er realistischer, als jedes andere System, da er alle Maßnahmen, die nicht von Nutzen sind, von vorneherein ausschließt.

Konfuzianische Lehren sind in der religiösen Idee begründet, daß rechtes Verhalten die Harmonie mit der ewigen Weltordnung erreichen könne. Dieses Verhalten bestehe in: jen (Selbstlosigkeit/Menschlichkeit), i (Treue gegen sich und andere), li (Rechtschaffenheit/ Schicklichkeit) und chih (Weisheit und Aufrichtigkeit).

Das wichtigste Prinzip, jen (Menschlichkeit) ist schwer zu verstehen; es stellt sicher das innerste des Konfuzianismus dar. Hauptsächlich meint es selbstlose Gefühle zwischen den Menschen. Jen ist wie die Saat, aus der alle Gute Eigenschaften des Menschen entspringen. Jen bedeutet den Besitz dieser Qualitäten in sehr hohem Maße. Die tatsächliche Bedeutung des jen in unserem täglichen Leben ist sehr eng verbunden mit der Gegenseitigkeit. Laut Konfuzius bedeutet dies nicht, daß man einem anderen nicht das zufügen soll, was man selbst nicht will, sondern, wie er es ausdrückt: Wenn dir etwas an deinem rechten Nachbarn nicht gefällt, übertrage es nicht auf deinen linken; wenn dir etwas an deinem linken Nachbarn nicht gefällt, übertrage es nicht auf deinen rechten.(McNaughton, 1974).

Vermutlich hat Konfuzius einst die Gegenseitigkeit (shu) als Innerstes seiner selbst gesehen. Konfuzius sagt: "Es gab nie einen Fall, wo ein Mensch, der die Gegenseitigkeit nicht verstanden hat, wirklich mit anderen kommunizieren konnte, welche Schätze er auch sonst in sich trug." (McNaughton, 1974). Das bedeutet, jen zu besitzen setzt voraus, shu zu besitzen; man muß sich also in die Haut des anderen versetzen können, man muß fähig sein, mit anderen zu empfinden.

Das Zweitwichtigste Prinzip ist i; das heißt Treue, Loyalität oder Gerechtigkeit. Wie die Definition nahelegt, ist auch dieses Prinzip sehr Bedeutsam für soziale Bindungen. Allerdings ist es, ebenso wie jen, sehr schwer zu erklären. Möglicherweise ist es einfacher, i mit seinem Gegenteil zu erklären; persönliche Interessen und Profit. I ist der Teil der menschlichen Natur, der uns erlaubt, hinter persönlichen, schnellen Profit zu sehen, und uns zur eigentlichen Treue des Menschen zu erheben, die uns mit anderen Menschen verbindet.

(Yum, 1987). I besagt, menschliche Beziehungen basieren nicht auf persönlichen Profit, eher auf der Verbesserung des Allgemeinguts.

Wenn jen und i der geistige Inhalt des ethischen Konfuzianischen Systems ist, dann ist li (Schicklichkeit, Rechtschaffenheit, Achtung vor sozialen Formen) seine äußere Ausprägung. Als objektives Kriterium für sozialen Anstand, wird li als grundlegendes System von Regeln des feinen Benehmens in der menschlichen Gesellschaft betrachtet. Mencius vermutete, li entstand aus der Nachgiebigkeit gegenüber anderen und Vorbehalten gegenüber uns selbst. Laut Konfuzius folgt li auf jen, also daraus, selbstlos gegenüber anderen zu sein. Nur wenn die Menschen sich selbst überwinden, und so zur Treue zurückkehren können, können sie Menschlichkeit erreichen. Andererseits wird Rechtschaffenheit ohne Menschlichkeit als leer und sinnlos betrachtet.

4. Der Einfluß des Konfuzianismus auf zwischenmenschliche Beziehungsmuster

Mindestens drei der vier Hauptprinzipien des Konfuzianismus haben also direkten Einfluß auf soziale Bindungen. Unter solch strengem Einfluß haben ostasiatische Länder zwischenmenschliche Beziehungsmuster entwickelt, die sich von der Individualistischen Sichtweise Nordamerikas grundlegend unterscheiden (s. Anlage1)

4.1 Partikularistische statt universalistische Beziehungen

Zwischenmenschliche Beziehungen sind im Konfuzianismus nicht universalistisch, sondern partikularistisch. Wie bereits weiter oben beschrieben, werden herzliche Gefühle des jen in Abhängigkeit vom Verhältnis einer Person zu einer anderen gezeigt. Die Ethik im Konfuzianistischen Denken ist demnach auf den Beziehungen und der jeweiligen Situation aufgebaut, und nicht so sehr auf einen unumschränkten und schwer verständlichen Gut. Anstatt dieselben Regeln auf jeden anzuwenden, mit dem die Einwohner Ostasiens Umgang pflegen, differenzieren und regulieren sie ihre Beziehung; diese ist dann abhängig vom Grad der Vertrautheit, der Stellung der betroffenen Person und dem jeweiligen besonderen Zusammenhang. Die Ostasiatischen Länder haben genaue Regeln des sozialen Lebens für diejenigen ausgearbeitet, deren soziale Stellung und Verhältnis zu ihnen selbst genau bekannt ist, aber sehr wenig universelle Regeln für Personen, die unbekannt sind.

Aus Sicht der Amerikaner stellt sich das so dar, als würde man gegen die heilige Pflicht der Fairneß und Gleichheit verstoßen, die die Werte der Individualität verkörpern. In Nordamerika sind zwischenmenschliche Beziehungen nicht partikularisiert. Eher ist man dazu bereit, jeden als eigenständige Persönlichkeit zu sehen, und entsprechend generalisierte und objektive Regeln anzuwenden. Zum Beispiel ist es in den USA durchaus normal, "Hi" oder "Guten Morgen" zu jedem zu sagen, dem man auf dem morgendlichen Spaziergang trifft, oder einfach mit jemandem zu reden, der vor einem in der Schlange steht. Wenn man aber "Hallo" oder Guten Tag" zu einem Fremden in Korea sagt, würde man eher als äußerst unfreundliche Person betrachtet. Die Einstellung der Ostasiaten besagt, es sei menschlicher, den speziellen Zusammenhang und die betroffenen Personen einzubeziehen, um Handeln und Verhalten zu verstehen, als sie mit Hilfe generalisierter Regeln zu berechnen, die bis zu einem gewissen Grad unpersönlich sind.

4.2 Langfristige, abhängige Beziehungen statt kurzfristige, sich auszahlende oder verpflichtende Beziehungen

Beziehungen als eine Verkörperung des jen ist das zentrale Konzept im Konfuzianismus, genauso, wie die Individualität das wichtigste Konzept in der Nordamerikanischen Kultur ist. Wenn sich die Menschen in Nordamerika auf freiwilliger Basis zu bestimmten Zwecken treffen, sind sie trotzdem alle gleich und unabhängig; die Menschen gehen in oder verlassen Vereine ohne ernsthafte soziale Sanktionen seitens der Gruppe. Verpflichtungen und Verbindlichkeiten werden oft als Beschneidung der eigenen Unabhängigkeit und Handlungsfreiheit betrachtet. Beziehungen sind symmetrisch-verpflichtend, das bedeutet, sie müssen sich so weit als möglich auszahlen, oder aber vertraglich bedingt; man verpflichtet sich gegenüber einer Einrichtung, oder es ist eine geschäftliche Verbindung mit einem Vertragspartner. (Condon & Yousef, 1975)

Im Gegensatz dazu betrachtet die konfuzianische Philosophie Beziehungen als ergänzend oder asymmetrisch und sich gegenseitig verpflichtend. Eine Person ist sozusagen für immer anderen verpflichtet, die umgekehrt selbst durch andere Verpflichtungen an diese Person gebunden sind. Auf Abhängigkeit wird nicht herabgesehen. Sie ist im Gegenteil wichtiger Bestandteil der zwischenmenschlichen Beziehungen. In diesem System der Gegenseitigkeit rechnet niemand das gegeneinander auf, was er gibt oder bekommt. Solche Berechnungen würden auf schnellen persönlichen Profit abzielen; das würde aber dem Prinzip der gegenseitigen Treue, des oben dargestellten i, widersprechen. Es ist beispielsweise in Korea unüblich, wenn eine Gruppe von Freunden, Kollegen, oder Chefs und Untergebenen gemeinsam weggehen und die Bezahlung für Essen oder Trinken aufteilen. Eher wird sich jeder danach drängen, für alle zu zahlen. In Nordamerika wollen die Menschen grundsätzlich für sich selbst zahlen. Indem man Beziehungen auf ergänzende Verpflichtungen auslegt, erzeugt man herzliche, andauernde zwischenmenschliche Beziehungen, aber auch die Notwendigkeit, Verpflichtungen, die sich hieraus ergeben, zu akzeptieren.

4.3 Unterscheidung von Mitgliedern und Nichtmitgliedern einer Gruppe

Die Kulturen Nordamerikas unterscheiden nicht so streng zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern einer Gruppe, wie das in Ostasiatischen Ländern üblich ist. Zugehörigkeit zu einer Gruppe und die Beweglichkeit zwischen Gruppen sind normalerweise freiwillig, darum sind langdauernde Gruppenzugehörigkeit und Loyalität zu einer Gruppe selten.

Gegenseitige Abhängigkeit, wie sie das Konfuzianische Prinzip des i vorsieht, setzt natürlich voraus, daß jemand vollständig in eine sehr eng verknüpfte Gruppe von Menschen über längere Zeit aufgenommen wird, und sich damit identifizieren kann. Diese langdauernden Beziehungen funktionieren, weil jedes Gruppenmitglied von jedem anderen Gegenleistungen erwarten kann und weil alle wissen, daß sie sich früher oder später aufeinander verlassen können müssen. Menschen, die in einer solchen Art von Netz verstrickt sind, unterscheiden sehr streng zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern. Beispielsweise gibt es unterschiede in speziellen Redewendungen innerhalb einer Gruppe im Vergleich zu außerhalb. Was innerhalb der Gruppe gesagt wird, unterschiedet sich stark von dem, was man außerhalb der Gruppe sagt.

 

4.4 Informelle statt offizielle Vermittler

Weil diese Unterscheidung so streng ist, braucht man in Ostasien einen Vermittler, um Beziehungen zu knüpfen. Die Betonung der Schicklichkeit (li) im Konfuzianismus führt dazu, daß man eigentümliche Rituale absolvieren muß, um neue Beziehungen zu knüpfen, und ein Vermittler ist Teil eines solchen Rituals. Der Vermittler hat eine innige Beziehung zu beiden Gruppen und kann damit beide zusammenführen. Eine der Strategien solcher Vermittler, zwei Parteien zusammenzuführen, ist etwa, schon bestehende Verbindungen zwischen beiden zu erwähnen, um so eine Verbindung herzustellen; dies geschieht, indem man beispielsweise erklärt, beide hätten an der gleichen Universität studiert, oder beide seien ursprünglich aus derselben Region. Oder aber, der Vermittler nutzt seine eigenen Verbindungen zu beiden Parteien, um eine Art indirekter Mitgliedschaft in einer neuen Gruppe zu schaffen, indem er etwa erklärt, jemand sei ein ehemaliger Schulkamerad, oder der Andere arbeite in derselben Firma, wie er selbst.

In den USA sind Vermittler meist berufsmäßig oder geschäftlich mit den Gruppen verbunden, die vermittelt werden wollen; also etwa Anwälte, Unterhändler, Heiratsvermittler und dergleichen. Der Vermittler ist ein außenstehender Dritter, der keine Ahnung von den Eigenschaften beider Parteien hat, außer denen, die er eventuell aus zweiter Hand erfahren hat. Der Vermittler verhandelt mit allen Parteien, ist aber selbst kein Teil von irgendeiner Partei. Beziehungen zu benutzen, um ein angestrebtes Ziel zu erreichen, ist zwar auch in den USA üblich, wird dort aber eher als Vetternwirtschaft herabqualifiziert, und könnte auch als Aufgabe der eigenen Freiheit ausgelegt werden.

4.5 Überschneidung privater und geschäftlicher Verbindungen

Das Konfuzianische Konzept des i führt zu einer strengen Ablehnung rein geschäftlicher Beziehungen, die auf einer berechnenden und vertraglichen Basis beruhen. Deshalb geht die Tendenz in Ostasien dazu, geschäftliche und private Beziehungen zu vermischen. Obwohl der eigentliche Grund der Treffen geschäftlicher Natur ist, fühlen sich beide Parteien besser, wenn die Geschäftsbeziehung auf einer persönlicheren, herzlichen Basis abläuft. Auf den Prinzipien des sozialen Miteinanders beruhend, sollte man bestimmte Regeln einhalten, wenn man in Korea eine fruchtbare Geschäftsbeziehung aufbauen will (Lee, 1983): (1) möglichst häufige Kontakte über einen möglichst langen Zeitraum zu pflegen, (2) eine persönlichere, herzlichere Bindung anstreben, (3) wenn möglich, gemeinsam etwas erleben, wie Sportveranstaltungen, drinks, gemeinsame Reisen, (4) beiderseitiges Verständnis auf persönlicher Ebene und in persönlichen Situationen erzeugen, (5) ein Vertrauensverhältnis und eine positive Einstellung beim Verhandlungspartner erzeugen. Das Ziel ist, den Unterschied zwischen einer privaten und einer geschäftlichen Beziehung möglichst gering zu halten. Es ist erwiesen, daß aus einem guten privaten Verhältnis automatisch eine gute geschäftliche Beziehung folgt, da sie Vertrauen und gegenseitiges Entgegenkommen erfordert. Solche geschäftlichen Beziehungen sind erfahrungsgemäß längerdauernd, und nicht auf eine geschäftliche Transaktion begrenzt.

In den USA gibt es eine klare Zweiteilung zwischen privatem Leben, und dem Geschäftsleben. Da die wichtigste Aufgabe des Individuums die Erreichung einer möglichst hohen Position innerhalb der Gesellschaft ist, geht die Tendenz eher dahin, beide Leben soweit als möglich zu trennen. Da der Begriff des "organisierten Menschen" entgegengesetzt zu einem selbstbewußten Individuum ist, ist man eher ängstlich, ein "organisierter Mensch" zu werden (Bellah et al., 1985). Viele betrachten das Privatleben als Schutzschild gegen den Druck eines wettbewerbsbetonten geschäftlichen Lebens, und deshalb muß es verteidigt werden.

5. Der Einfluß des Konfuzianismus auf Kommunikationsformen

Da sich der Konfuzianismus hauptsächlich mit sozialen Bindungen auseinandersetzt, hat es die Kommunikationsformen in Ostasien sehr stark beeinflußt. Hauptsächlich hat es dafür gesorgt, daß Umgangsformen entwickelt wurden, die helfen, angemessene menschliche Beziehungen zu entwickeln und zu fördern. Ostasien und Nordamerika werden im Folgenden verglichen.

5.1 Verlauforientierte statt folgeorientierte Kommunikation

Da die wichtigste Funktion der Kommunikation in der Konfuzianischen Philosophie das Aufbauen, Weiterentwickeln und Erhalten sozialer Beziehungen ist, liegt der Schwerpunkt auf einer Art von Kommunikation, die solche Beziehungen fördert. Es ist vor allem sehr wichtig, sich in Ostasien zunächst auf small talk einzulassen, bevor man zum Geschäftlichen übergeht, und über persönliches zu reden, besonders Informationen, die helfen, die anwesenden Personen in den richtigen Zusammenhang zu bringen. Kommunikation wird als unendlicher Erklärungsprozeß betrachte, wie Cheng 1987 ausführt, der nicht in Sender, Nachricht, Kanal und Empfänger zerlegt werden kann. Es setzt voraus, daß beide Parteien mit einem immer weiter fortschreitenden Verlauf beschäftigt sind, und daß die Beziehung in Fluß bleibt.

Im Gegensatz dazu ist die Kommunikation in Nordamerika dazu da, Unabhängigkeit und Selbsterfüllung immer weiter zu treiben. So kommt es, daß die Folge des Gesprächs wichtiger ist, als der Verlauf. Mit kurzfristigen, schnell endenden Beziehungen, ist Kommunikation meist eine Handlung, die nur von kurzer Dauer ist, und später durch eine neue Kommunikation ersetzt wird. Greifbare Ergebnisse in Form von Freunden gewinnen, Gegner besiegen und Selbsterfüllung zu erreichen, ist die wichtigste Bedeutung der Kommunikation.

5.2 Genau Differenzierende statt weniger differenzierende Redewendungen

Ostasiatische Sprachen sind sehr kompliziert und unterscheiden genau zwischen der Stellung in der Gesellschaft, dem Grad der Vertrautheit, dem Alter, Geschlecht und dem Grad der Förmlichkeit. Außerdem existiert ein umfangreiches und vollendetes sprachliches "Ehrensystem" in den Sprachen Ostasiens (Brown & Levinson, 1978; Ogino, Misono & Fukushima, 1985). Diese Differenzierungen bestehen nicht nur aus Redewendungen, sondern stecken auch in Verben, Pronomen und Nomen. Sie sind eine Folge konfuzianischer Regeln der Ethik, die den richtigen menschlichen Beziehungen (i) und der Schicklichkeit (li) die größten Werte zurechnen. McBrian hat 1987 erklärt, daß die Sprache vollständiger Bestandteil eines Systems sozialer Schichten ist, und die hierarchisch gegliederte Konfuzianische Gesellschaftsordnung spiegelt sich im streng untergliederten Sprachsystem Koreas wider.

Martin hat 1964 herausgefunden, daß einer der wesentlichen unterschiede zwischen der Englischen, japanischen und Koreanischen Sprache die Unterteilung in bestimmte Sprachniveaus ist. Sowohl im Koreanischen, als auch in der japanischen Sprache gibt es zwei wichtige sprachliche Stufen: die eine Stufe ist die Anrede, die andere die der Verehrung. Die Stufe der Anrede ist unterteilt in normal, höflich und ehrerbietig, während die Stufe der Verehrung in demütig und neutral unterteilt ist (Martin, 1964). Die ehrerbietige Ansprache wird den Handlungen des Empfängers zugerechnet, während demütige Redewendungen sich auf Handlungen des Senders beziehen - anders herum würden die beiden Stufen nicht benutzt werden. Die ehrerbietigste Sprachform wäre eine ehrerbietige Anrede des Empfängers mit der demütigen Form des Senders zu vereinen.

Die Englische Sprache enthält auch verschiedene Redewendungen, die die Vertrautheit oder den Unterschied der Stellung zwischen Redner und Zuhörer widerspiegeln. Normalerweise wird aber die englische Form der Anrede ausreichend beschrieben durch eine einfache Zweiteilung: Vorname gegenüber Titel plus Nachname (Brown & Ford, 1964). Andere europäische Sprachen spiegeln auch diese Unterteilung in persönliche und unpersönliche Anrede wider, wie zum Beispiel im französischen durch tu und vous. Vorname oder Titel plus Nachname werden entweder von beiden Parteien benutzt (beide Seiten benutzen die gleiche Form der Anrede), oder aber, sie werden unterschiedlich verwendet (einer benutzt den Vornamen, der andere Titel plus Nachname). Die Stellung in der Gesellschaft und die Vertrautheit der Gesprächspartner bestimmen auch die Grußformeln, die Verwendung finden. "Hi" ist beispielsweise gebräuchlich zwischen guten Freunden oder Bekannten, oder auch gegenüber Untergebenen, währende "Guten Tag" oder ähnliche förmliche Anreden eher bei Fremden oder Höhergestellten verwendet werden (Brown & Ford, 1964). Im Gegensatz dazu fanden Ogino, Misono und Fukushima (1985), die in Japan arbeiteten, 210 verschiedene Arten der Anrede heraus, die in 8 verschiedenen Fällen verwendet werden, und sich in 20 verschiedene Kategorien einteilen lassen. In modernem "American English" bedeutet das Ändern der Anredeform von gegenseitigem Verwenden von Titel plus Nachname in die Verwendung von Vornamen meist nur eine sehr geringe Zuname der Vertrautheit, manchmal findet dieser Wechsel schon nach wenigen Minuten eines Gesprächs mit einem bis dahin Fremden statt. In der Ostasiatischen Kommunikation kann das sehr lange dauern, oft wird eine eher förmliche Art der Anrede auch nach vielen Jahren der Bekanntschaft nicht aufgegeben.

Im Englischen ist der Grad der Vertrautheit vor allem durch die Anrede bestimmt, während in Korea oder Japan Pronomen, Verben und Nomen noch eine zusätzliche Unterscheidung beinhalten. So wird im Englischen immer das gleiche Wort verwendet, um "essen" zu sagen, nämlich "to eat", unabhängig von der Person, die angesprochen wird. Im koreanischen gibt es aber verschiedene Formen, um "essen" zu sagen: muk-da (normal), du-shin-da (höflich), und chap-soo-shin-da (ehrerbietig). Darüber hinaus erstreckt sich diese sprachliche Unterscheidung dann auch auf das Nomen, das im Zusammenhang mit dem Verb verwendet wird. So bedeutet Reis je nach dem verwendeten Verb: bap (normal), shik-sa (höflich) oder jin-ji (ehrerbietig).

Im Englischen wird das Pronomen "you" für jedermann verwendet, ob alt oder jung, Präsident der USA oder der Junge von nebenan. In Ostasien gibt es Unterschiede, je nachdem, wie höflich man sein will, oder wie gut man jemanden kennt. Man ist auch oft gezwungen, eine ehrerbietige Anrede anstelle eines Pronomens zu benutzen, zum Beispiel indem man anstelle des Pronomens den Namen benutzt: "Ist das Herr Wangs Buch?" anstatt "Ist das Ihr Buch?" (Chao, 1956, p. 218).

Ausdrücke, um die augenblickliche Funktion einer Person anzuzeigen, wie zum Beispiel Professor, Tante, Student usw. werden auch dann anstelle des Pronomens "du" oder "sie" verwendet, wenn sich nur zwei Personen miteinander unterhalten, weil sie besser das Verhältnis zwischen zwei Gesprächspartnern beschreiben können, als die normale Form der Anrede. Da der Konfuzianismus vorschreibt, daß man die Schicklichkeit innerhalb einer gesellschaftlichen Beziehung beachten soll (li), betrachtet man das verallgemeinernde "du" oder "sie" als unfähig, dieses Verhältnis in den meisten Gesprächssituationen zu beschreiben. Diese Differenzierung sprachlicher Redewendungen in ostasiatischen Kulturen unterstützt das allgemeingültige sprachpsychologische Prinzip, daß sich für sprachlich bestimmte Kulturen der Grad der sprachliche Differenzierung je nach der Wichtigkeit dieses Gebietes für die gesamte Kultur verstärkt (Brown & Ford, 1964). Die Wichtigkeit gesellschaftlicher Beziehungen in Konfuzianischen Kulturen hat daher die Differenzierung innerhalb der Sprachen entsprechend gefördert, um den Grad einer Beziehung auch ausdrücken zu können.

5.3 Schwerpunkt auf indirekter, statt auf direkter Kommunikation

Die meisten Kulturen haben sowohl direkte, als auch indirekte Kommunikationsformen. Metaphern, Hinweise, Andeutungen, Anspielungen und Ironie sind nur einige wenige Beispiele für Arten der indirekten Kommunikation, die man in den meisten Sprachkulturen finden kann. Searle (1969) stellt fest, daß indirekte Sprachformen dann verwendet werden, wenn der Sender dem Empfänger mehr sagen will, als er dies mit Worten tatsächlich tut; er oder sie bezieht sich dabei auf Hintergrundinformationen, die beiden Gesprächspartnern bekannt sind, und indem sich der Sender auf die Fähigkeiten des Empfängers verläßt, mit seinem Verstand die richtigen Folgerungen zu ziehen. Brown & Levinson (1978) haben herausgefunden, daß die indirekte Sprache wohl hauptsächlich deshalb überall verwendet wird, weil dadurch die Nutzung grundlegender Höflichkeitsstrategien überall gefördert wird.

Obwohl indirekte Kommunikation überall verbreitet zu sein scheint, ist der Grad seiner Vollkommenheit von Kultur zu Kultur verschieden. Zum Beispiel bevorzugt die ?malagisische? Kultur die indirekte Kommunikation (Keenan, 1974), während bestimmte ?Sabrische? Kulturen direkte Sprache verwenden (Katriel, 1986). Rosaldo (1973) sagte, daß der Hang der Amerikaner und Europäer zu direkter Kommunikation mit wissenschaftlich-demokratischem Inhalt sich in verschiedenen kulturellen Zusammenhängen wohl nicht bewähren wird. In der ?Ilongotischen? Gesellschaft wird die indirekte Kommunikation als autoritär und überheblich angesehen, während die indirekte Sprache weit besser auf die persönlichen Wünsche und Bedürfnisse eingehe.

Brown & Levinson (1978) führten aus, daß das Phänomen der Höflichkeit (indirekte Kommunikation ist ein Teilaspekt davon) sich vom Begriff "Gesicht" ableitet, dem öffentlichen Profil, das jeder für sich selbst in Anspruch nimmt. Katriel (1986) sagt, indirekte Kommunikation sei Ausdruck eines vorherrschenden Interesses für das "Gesicht" des anderen. Das konfuzianische Erbe der Rücksichtname auf andere und der Sorge um die richtige Beziehung zwischen den Menschen führte dazu, daß sich Kommunikationsformen entwickeltem die dafür sorgen, daß andere ihr "Gesicht" behalten. Indirekte Kommunikation hilft, die Verlegenheit einer Zurückweisung anderer oder Uneinigkeit zwischen Gesprächspartnern zu vermeiden; dabei behält der andere sein Gesicht, und die Beziehung bleibt intakt. Lepra sagte 1976, daß "das Gesicht bewahren" einer der wichtigsten Einflußfaktoren auf das Verhalten der Japaner ist. Sie führte dabei einige konkrete Mechanismen an, wie man das Gesicht bewahrt, wie etwa mittelbare Kommunikation( indem man einen Dritten benutzt, um eine Nachricht zu übermitteln), "refracted" Kommunikation (man redet mit jemand, meint aber einen Dritten, der daneben steht), und als Delegierter zu handeln (man überbringt die Nachricht eines anderen). Dies alles sind indirekte Formen der Kommunikation.

Die Nutzung der indirekten Kommunikation in Ostasien ist durchdringend und oft überlegend. Beim Vergleich japanischer und amerikanischer Firmen kann man feststellen, daß in amerikanischen Firmen die Mitarbeiter meist klar, genau und präzise miteinander reden, während Japaner oft absichtlich vage und ungenau miteinander kommunizieren (Hirokawa, 1987; Pascale & Athos, 1981). Die wirklich extreme Nutzung der indirekten Kommunikation wird durch das folgende Beispiel belegt: es gibt sechzehn verschieden Möglichkeiten im japanischen, einem "nein" auszuweichen. (Imai, 1981)

Man hat auch festgestellt, daß es wesentliche Unterschiede im Grad der Nutzung einer indirekten Kommunikation zwischen Nordamerika und Ostasien gibt. Im Amerikanischen sagt man zum Beispiel: "Die Tür ist offen", wenn man indirekt sagen will, ein anderer solle die Tür schließen. In Japan geht man noch einen Schritt weiter, man sagt: "Es ist kalt hier", was noch weiter geht, weil hier das Wort "Tür" überhaupt nicht auftaucht (Okabe, 1987) Dieses höhere Niveau der indirekten Kommunikation zeigt sich auch darin, wie eine Japanerin sich verhielt, um ihrem Ehemann zu sagen, daß sie ihre Schwiegermutter nicht mag: Sie machte einige leichte Fehler beim Anfertigen ihrer Blumengebinde (Lebra, 1976).

Eine von Grice's Grundregeln kooperativer Konversation ist "Stil", das bedeutet, der Sprecher sollte unklare Ausdrücke und Zweideutigkeit vermeiden (Grice, 1975). Diese direkte Kommunikation ist in Nordamerika normal, abgesehen, von der extensiven Nutzung indirekter Kommunikation. Grices Prinzipien würden in Ostasien keine Anerkennung finden. Okabe zeigte 1987, daß in Japan die traditionellen Kommunikationsregeln , die vorschreiben, nichts zu verlangen, abzulehnen, sich selbst zu behaupten oder einen anderen ständig zu kritisieren, sehr viel wichtiger sind, als Grices oben erwähnte Grundregel.

Reischauer (1977, p.136) führte aus, daß die Japaner grundsätzlich sprachlichen Fähigkeiten mißtrauen; sie denken, dies zeige Oberflächlichkeit, im Gegensatz zu solch tiefergehenden, aber leiseren Kommunikationsformen, wie Andeutungen oder sonstige nichtverbale Ausdrücke. Trotzdem gibt es sowohl in Ostasien, als auch in Nordamerika indirekte Kommunikation. Ihr Nutzen ist weiter verbreitet und mehr akzeptiert in Ostasien, als in Nordamerika.

5.4 Empfänger statt Sender im Mittelpunkt

Die Kommunikation in Nordamerika stellt meistens den Sender in den Mittelpunkt, darum hat man bis vor kurzem das lineare Einbahn-Modell vom Sender zum Empfänger bevorzugt. Man hat immer wieder versucht, den Sender zu trainieren, damit er bessere Botschaften formuliert, seine Glaubwürdigkeit verbessert wird, seine Fähigkeit der Artikulation verbessert werden, usw. Im Gegensatz dazu lag der Schwerpunkt in Ostasien immer darauf, zuzuhören und zu interpretieren.

Cheng (1987) identifizierte unendliche Interpretation als eines der wichtigsten Prinzipien in der chinesischen Kommunikation. Dieser Prozeß beinhaltet, daß der Empfänger im Mittelpunkt steht und man eher zuhört, als selbst zu reden. Lebra (1976, p.123) sagt, "vorwegnehmende Kommunikation" sei üblich in Japan. Der Sprecher muß nichts sagen oder fragen; die anderen versuchen, seine Wünsche und Bedürfnisse zu erraten. Damit begegnen sie gleich dem Problem, beschämt zu sein, wenn sie die zaghaft geäußerten Wünsche ihres Gastes nicht befriedigen können. In einem solchen Fall fällt die Hauptlast der Kommunikation auf den Empfänger, nicht auf den Sender. Eine Person, die "einen hört und zehn versteht" wird als intelligenter Gesprächspartner geschätzt. Schnell zu begreifen, und sich schnell einer anderen Position anzupassen, bevor der andere seine Meinung geäußert hat, ist eine wichtige Fähigkeit. Die größte Verwirrung von Ostasiatischen Studenten im Ausland entsteht dann, wenn sie bei Besuchen in Amerikanischen Häusern immer wieder gefragt werden, was sie denn wollen. In ihrer Heimat wird vorausgesetzt, daß der Gastgeber oder die Gastgeberin über die Bedürfnisse ihrer Gäste gleich Bescheid wissen, und sie ohne nachzufragen befriedigen. Dieser Unterschied ist da, weil man in Amerika wert auf die freie Auswahl legt; in Ostasien hingegen ist es wichtig, "vorwegnehmende Kommunikation" zu betreiben und dementsprechend seine Gäste zu versorgen.

Da der Schwerpunkt auf indirekter Kommunikation liegt, wird es schwierig für den Empfänger, eine tiefergehende Bedeutung zu spüren und zu verstehen. In Nordamerika versuchte man, die Effektivität des Senders zu verbessern, indem man spezielle Sprachtrainings, zum Beispiel Debattieren oder Reden halten, entwickelte; in Ostasien hingegen versucht man, den Empfänger empfänglicher für diese unterschwelligen Strömungen zu machen. Die höchste Stufe hat man erreicht, wenn jemand den Geist eines anderen von seinen Vorurteilen reinigt, und alles klar und leicht verständlich macht (Yuji, 1984).

Seit kurzem geht die Tendenz in den USA auch dazu, besser zuzuhören. Sowohl Schüler der Kommunikation, als auch Praktiker haben inzwischen bemerkt, daß zuhören nicht deshalb wichtig ist, weil es hilft, die Kommunikation besser zu verstehen (Begriffsvermögen), sondern, wichtiger noch, durch seine Wirkung auf die Psyche (Befriedigung, daß jemand zuhört).

6. Zusammenfassung

Der vorhergehende Text verglich die Ostasiatische Betonung sozialer Bindungen mit dem Schwerpunkt der Nordamerikaner auf Individualismus. Diese zwei unterschiedlichen Schwerpunkte haben sehr verschieden Formen des Zusammenlebens und der Kommunikation zur Folge. Die vorstehenden Schlußfolgerungen sind natürlich nicht absolut. Beide Kulturen orientieren sich bis zu einem gewissen Grad in beide Richtungen. Es ist einfach wahrscheinlicher, daß Ostasiaten bestimmte Kommunikationsmuster wie zum Beispiel indirekte Kommunikation öfter benutzen, als das in Nordamerika der Fall ist, aber auch umgekehrt.

Die frühere Übernahme des Individualismus und damit verbundenen Begriffen, wie Gleichheit, Fairneß und Gerechtigkeit, und seine weitreichenden Einflüsse auf das ganze gesellschaftliche Geflecht in Nordamerika sind sehr gut dokumentiert. Im Gegensatz dazu merkte man, daß soziale Beziehungen als Schlüssel zu ostasiatischen Ländern wichtig sind, erst sehr spät. Untersuchungen des japanischen Führungsstils ergaben, daß einer der wichtigsten Unterschiede zwischen dem Führungsstil in Japan, und dem in Nordamerika, die persönlichere wechselseitigere Beziehung zwischen Angestellten untereinander, aber auch zwischen Angestellten und der Führungsebene in Japan ist. Diese zwischenmenschlichen Beziehungen bedingen Loyalität und hohe Produktivität. Es ist nicht ungewöhnlich. sofort zu behaupten, diese Beziehungen seine nur eine Folge anderer Organisationsformen, wie lebenslange Beschäftigung. Wenn man aber unter die Oberfläche blickt, bemerkt man, daß es eher das Erbe einer tausendjährigen Konfuzianischen Einflußnahme ist, man findet ähnliche zwischenmenschliche Beziehungsmuster nämlich auch außerhalb großer Unternehmen. Daraus folgt, daß Versuche, einen ähnlichen Führungsstil in Nordamerika mit seiner vollkommen anderen philosophisch-kulturellen Orientierung hin zum Individualismus zu etablieren, nicht sehr befriedigend verlaufen. Zuerst muß sich die gesamte Gesellschaft ändern.

Leider verlagert sich aber eine bisher vorhanden gewesene Verpflichtung gegenüber größeren Gruppen, wie der Gemeinde, Vereinen und anderen Organisationen mehr und mehr zum Individualismus. Vermutlich hat der neue Individualismus diese Entwicklung zur Folge, er führte dazu, daß die meisten Amerikaner in ihrer eigenen Individualität gefangen sind, und die Fähigkeit verloren haben, ihr Bedürfnis nach Mitarbeit zu äußern (Bellah et al., 1985). Obwohl Individualismus selbst auch ein Wert ist, führt ein solcher, der nicht davon begleitet wird, sich in größeren Gruppen zu engagieren möglicherweise zu einer Isolation, in der das Leben selbst bedeutungslos wird.

Wenn es stimmt, daß Menschen gesellschaftliche Tiere sind, ist es nötig, einen Ausgleich im kulturellen System zu finden, also an Individualität zu glauben, aber trotzdem nicht die Notwendigkeit vergessen, mit anderen zusammenzutreffen. Amerikaner haben schon immer mehr freiwillige Zusammenschlüsse und Vereine besucht, als die Bürger in jedem anderen Land der Welt. Man kann die neuen Tendenzen zur "ich"-Generation und zum Beispiel zu Börsenmaklern, die nur nach schnellen persönlichen Gewinnen streben, indem sie ihrer Firma, oder der ganzen Gesellschaft nach oben helfen, als pathologische Symptome einer Individualität betrachten, die bis zum Extrem betrieben wird. Bellah et al. (1985, S. 284) haben festgestellt, daß die "soziale Ökologie nicht nur durch Kriege, Völkermord oder politische Unterdrückung zerstört wird, sondern auch durch eine Zerstörung der feinen Bänder, die Menschen aneinander binden, sie ängstlich und allein zurücklassend." Sie sagen klipp und klar, daß wir unsere soziale Ökologie wiederherstellen können, indem wir die Leute für unsere verwirrende Verbindung und gegenseitige Abhängigkeit sensibilisieren.

Der Einfluß des Konfuzianismus auf zwischenmenschliche Beziehungen ist der Zusammenarbeit, herzlichen menschliche Beziehungen, Rücksichtnahme auf andere und Harmonie innerhalb einer Gruppe förderlich, aber er hat auch seine Nachteile. Solche sozialen Zwänge haben zur Folge, daß sich Initiativen einzelner und spontane Ideen nur sehr langsam entwickeln; ja, manche Individuen fühlen ihre Unabhängigkeit erstickt. Weil die Trennung in Mitglieder und Nichtmitglieder einer Gruppe so streng ist, befürchtet man, daß Vetternwirtschaft unvermeidlich ist. Mit so engbegrenzten gesellschaftlichen Bindungen haben Menschen zwar einen gutentwickelten Sinn für Verpflichtungen innerhalb der Gruppe, aber ihre Verpflichtungen einer übergeordneten Körperschaft gegenüber sind nur sehr schwach.

Ironischerweise ist die Lösung sowohl für den übertrieben Hang zur Individualität der Amerikaner, als auch für Ostasien mit seiner Gruppenbildung dieselbe: sich für andere zu öffnen. Für Nordamerikaner bedeutet dies, ihre Grenzen bei der Selbsterfüllung zu akzeptieren, sich einer Gruppe anzuschließen, und das Gemeinwohl über das eigene zu stellen. Für Ostasien bedeutet es, ihre Gruppengrenzen aufzuweichen, und Außenstehende, die menschlich sind und dem Gemeinwohl verbunden, zu akzeptieren.

Die Ostasiatische Gesellschaft hat sich nach dem zweiten Weltkrieg wesentlich verändert. Westliche Werte nehmen seither unübersehbaren Einfluß auf die Gesellschaft in Ostasien; Filme und Fernsehprogramme aus dem Ausland sind allgegenwärtig. Es ist aber nicht einfach, mehrere hundert Jahre Konfuzianischer Einflüsse von heute auf morgen aufzugeben. In Japan bevorzugen zum Beispiel mehr junge Menschen, als alte, einen Vorgesetzten, der menschlich und sympathisch ist, anstelle eines tüchtigeren, der sie aber nicht motivieren kann (Dore, 1973). Ähnliches läßt sich auch in Korea feststellen. Koreanische Arbeiter, vor allem in Handwerksbetrieben, haben auf die Frage, warum sie ihre Anstellung wechseln, eher bessere menschliche Bindungen, oder bessere Behandlung angegeben, als bessere Bezahlung (Kim, 1984).

Es scheint aber unvermeidlich, daß die Bewohner ostasiatischer Länder zunehmend weniger traditionell gebundene Beziehungen haben, da die Gesellschaft sich fortentwickelt, mehr industrialisiert und beweglicher ist. Es wird eine neue Herausforderung sein, diesen Menschen zu helfen, mit ihrem Leben ohne den Schutz einer engen Bindung an eine Gruppe fertig zu werden, und zu lernen, Befriedigung darin zu finden, eigene Freiheit und Selbsterfüllung zu erleben.

Silicon Valley

Florida - the Sunshine State (Semesterarbeit Interkulturelle Kommunikation im fünften Semester)

Process Costing Systems (Semesterarbeit im Fach Englisch im fünften Semester)

Der EURO kommt - die Konvergenzkriterien (Referat in Internationaler VWL im fünften Semester)

Controlling in der Region Ostwürttemberg (Zeitungsartikel und Projekt in Medien und Kommunikation, fünftes Semester)

Konfuzianismus(Referat in interkulturelle Kommunikation im vierten Semester)

Einfluß des Konfuzianismus auf zwischenmenschliche Beziehungen und Kommunikation in Südostasien(im zweiten Semester)