Der Einfluß des Konfuzianismus auf
zwischenmenschliche Kontakte und Kommunikationsmuster in Ostasien
1. Einführung
Neue Technologien in der Kommunikation haben viele der physischen Grenzen zwischen Ost
und West, die Kommunikation bisher weitgehend verhinderten, inzwischen beseitigt, aber es
bleiben noch genügend philosophische und kulturelle Grenzen übrig, die nicht so einfach
zu verstehen sind. Trotzdem wurden die Gelegenheiten zur Verständigung zwischen
verschiedenen kulturellen Gruppen inzwischen stark verbessert. Dies hat mittlerweile
einige Gelehrte für die Notwendigkeit sensibilisiert, die Einstellung der asiatischen
Bevölkerung zur Kom-munikation zu studieren.
Die meisten kulturübergreifenden Studien zur Kommunikation beschreiben lediglich
fremde Kommunikationsmuster und vergleichen sie dann mit denen in Nordamerika, selten aber
dringen sie tiefer unter die Oberfläche vor, um die Ursachen dieser Unterschiede
herauszuarbeiten und zu erforschen. Dies nimmt June Ock Yum zum Anlaß, im
zugrundeliegenden Artikel hinter diese Grenzen zu blicken, um die philosophischen Wurzeln
der Kommunikation in Ostasien zu erforschen, erst dann sollen sie mit Nordamerika
verglichen werden. Voraussetzung hierfür ist, daß Kommunikation ein grundlegender
sozialer Prozeß ist, und als solcher durch die philosophischen Wurzeln und Wertordnungen
seiner jeweils zugrundeliegenden Gesellschaft beeinflußt wird.
Durch das Anwenden gewisser kultureller Einflüsse auf große geographische Gebiete
entsteht zwangsläufig ein schiefes Bild. Obwohl wir meist von "östlichen" oder
"asiatischen" Einflüssen reden, gibt es gerade in dieser Region eine große
Anzahl von Vorbildern, die oft einander genau entgegengesetzt sind. Zum Beispiel mag es
durchaus stimmen, daß Asiaten gläubiger sind, als die Bewohner der westlichen Welt. Dies
allerdings trifft eher auf Indien zu, während Chinesen, Koreaner oder Japaner eher nicht
so metaphysisch Denken, wie westlich ge-prägte Menschen, so führt Nakamura 1964 in
seinem Buch "Ways of thinking of Eastern Peoples" aus. Aus die-sem Grunde
bezieht Professor June Ock Yum ihren Artikel auf den oben genannten chinesischen,
koreanischen und japanischen Kulturkreis in Ostasien, die am meisten durch die
philosophischen Prinzipien des Kon-fuzianismus beeinflußt werden. Es kann vorausgesetzt
werden, daß andere Länder, die vom Konfuzianismus beeinflußt werden, ähnliche
Charakteristiken aufweisen, wie das Beispiel Vietnam beweißt, das einzige Land in
Südostasien, das mehr von China als von Indien beeinflußt wurde. Wie D.Lace und J.
Summer 1969 in ihrem Buch "Viet-Nam-the Unheard Voices" ausführen, liegt in
diesem Land eine starke Betonung auf dem Gebiet der zwischenmenschlichen, sozialen
Bindungen und der Unterwerfung unter einen hierarchisch dominierten Familienverband, wie
er Grundlage und geistiger Inhalt konfuzianistischer Lehren ist.
2. Soziale Bindungen statt Individualität
Vergleicht man Ostasien und Nordamerika, so stellt man fest, daß der Schwerpunkt in
Ostasien auf sozialen Bindungen liegt, während in Nordamerika die Individualität eine
große Rolle spielt. Hofstede ("Cultures Consequences" 1980) bezeichnet
Individualität/ Gemeinschaft als einen der wichtigsten Gradmesser, um Kulturen zu
unterscheiden. Er definiert die Individualität als gefühlsmäßige Unabhängigkeit
Einzelner von Gruppen, Organisationen oder anderen Vereinigungen. Parsons,Shils und Olds
(1951) bezeichnen Eigenorientierung statt Gemeinschaftsorientierung als eine der fünf
grundlegenden veränderlichen Muster, die menschliches Han-deln definieren.
Eigenorientierung liege dann vor, wenn ein Mensch in einer bestimmten Situation im Sinne
eige-ner, privater Interssen entscheide, ohne seine Haltung gegenüber Interessen oder
Werten der Gesellschaft zu berücksichtigen, statt im Gegenteil gerade die Interessen oder
Werte der Gemeinschaft zugrundezulegen.
Die Zweiteilung in Individualität und Gemeinschaft stimmt aber nicht mit dem
Unterschied zwischen Ostasiatischer Bevorzugung sozialer Bindungen und Nordamerikanischer
Bevorzugung der Individualität überein. Die Bewohner Ostasiens bevorzugen eher echte
soziale Bindungen und ihre Erhaltung anstelle einer abstrakten Beziehung zu einer wie auch
immer gearteten Gemeinschaftsorganisation. Es ist eigentlich eher eine Bindung zwischen
solchen, die in einem sozialen Geflecht verstrickt sind. Eine kürzlich veröffentlichte
Studie über die chinesische Wertordnung bestreitet, daß der konfuzianische Wertbegriff
der Gegenseitigkeit mit Hofstedes Individualität/ Gemeinschaft vergleichbar ist (Chinese
Culture Connection, 1987). Hui und Triandis empfahlen 1986 in ihrer Studie im
"Journal of Cross-Cultural Psychology" den Kollektivismus auf zweierlei Weise zu
sehen: (1.) als eine Beziehung in einer bestimmten Untergruppe von Menschen oder (2.) als
eine Beziehung zwischen den Menschen allgemein.
Im Jahre 1830 benutzte der französische Sozialphilosoph Alexis de Tocqueville den
Ausdruck "Individualität" um die bemerkenswerteste Eigenschaft des
Amerikanischen Volkes zu beschreiben. Bellah, Madsen, Sullivan, Swidler und Tipton(1985;
pp.vii, 142) stimmen darin überein, daß Individualität das Herz der amerikanischen
Kultur ist. Individualität ziehe sich unerbittlich durch die Geschichte Amerikas, und
auch heute noch glaube es an die Würde, ja Heiligkeit der Individualität. Alles, was
gegen das Recht der Amerikaner, an sich selbst zu denken, gegen ihr Recht auf
Selbstbestimmung, gegen ihr Recht auf eigene Entscheidungen und dagegen spricht, ihr Leben
so zu leben, wie sie es wollen, ist nicht nur unmoralisch, sondern auch ein Sakrileg.
Varenne sagte 1977, es gebe kein System von Prinzipien, das zwischenmenschliche Beziehung
in Amerika regelt, außer Individualität.
Trotzdem wollen sich viele Amerikaner zusammenschließen; Individualität ist das
Wichtigste für sie, aber sie werden vom Wunsch getrieben, sich von der Vergangenheit zu
lösen und sich selbst zu definieren. Allerdings schließen sich die Amerikaner
überwiegend in Organisationen zusammen, die man willkürlich betreten oder verlassen
kann. Varenne sagt (1977), Amerikaner verstehen Sozialstrukturen nicht als System von
verschiedenen Gruppen, die eine Art Symbiose bilden, sondern eher als Gemeinschaft von
Individualisten, die sich treffen, um irgendetwas zu machen.
Unter Berücksichtigung dieser kulturellen Orientierung überrascht es nicht, daß das
dominierende Merkmal der Kommunikation in Nordamerika die Individualität ist. Jeder
Sender ist ein eigenes Individuum, das sich in ver-schiedenen gemeinsamen Aktivitäten
engagiert, um seine Eigeninteressen voranzutreiben.
Im Gegensatz dazu steht die bemerkenswerte Eigenschaft der Ostasiaten, nämlich die
soziale Bindung. Hall und Beadsly (1965) warnen, verglichen mit Ostasiatischen Ländern
befinde sich Nordamerika noch in der Steinzeit, jedenfalls im Hinblick auf ihre sozialen
Strukturen. Diese frühe ostasiatische Hinwendung zur Gemeinschaft stammt von den Lehren
des Konfuzianismus.
3. Konfuzianismus
Der Konfuzianismus hat sich in Ostasiens Philosophie- und Kulturgeschichte als
grundlegendes soziales und politisches Wertesystem über 1000 Jahre lang gehalten. Ihre
einzigartige Stellung geht auf die chinesische Han-Dynastie zurück. 174 v. Chr. opferte
der erste Han-Kaiser auf dem Grab des Konfuzius, das auch heute noch erhalten ist. Auch
die Nachfolger dieses ersten Kaisers folgten diesem Ritual (besonders zur
Frühjars-Tag-und-Nacht-Gleiche). 555 n. Chr. wurden per kaiserlichem Befehl in jeder
Provinzhauptstadt des Reiches Tempel für Konfuzius errichtet; es dauerte noch bis 1906,
dann wurde er durch Edikt de höchsten Gottheiten des Himmels und der Erde gleichgestellt.
Auch die Koreanische Yi-Dynastie verehrte ihn über 500 Jahre lang als
Staatsphilosophie, genauso, wie in Japan seit Shogun Tokugawa der Konfuzianismus über 250
Jahre lang die wichtigste Philosophie des Staates war.
Institutionalisiert wurde der Konfuzianismus in offiziellen Lehrplänen und durch einen
Selektionsprozeß des Staates. Klassischer Konfuzianismus war in den Schulen in der
chinesischen, koreanischen und japanischen Geschichte in den Lehrplänen enthalten, bevor
es moderne Lehrpläne gab.
Ein anderer Grund für den weit stärkeren Einfluß des Konfuzianismus (verglichen mit
anderen religiös-philosophischen Systemen wie Buddhismus/ Taoismus) ist, daß der
Konfuzianismus praktisch und gegenwartsorientiert ist. Ein Student namens Tzu-Lu fragte
Konfuzius einst, wie man Geistern dienen können. Konfuzius antwortete: "Wenn man
nicht einmal den Menschen dienen kann, wie kann man dann den Geistern dienen?" Zum
Thema Tod sagte Konfuzius: "Wenn du nicht das Leben verstehst, wie kannst du dann den
Tod begreifen?" (McNaughton, 1974). Max Weber kommentiert, Konfuzianismus sei
Rationalistisch, da er frei von jeglicher Metaphysik sei und keinerlei Spuren einer
religiösen Basis enthalte. Außerdem sei er realistischer, als jedes andere System, da er
alle Maßnahmen, die nicht von Nutzen sind, von vorneherein ausschließt.
Konfuzianische Lehren sind in der religiösen Idee begründet, daß rechtes Verhalten
die Harmonie mit der ewigen Weltordnung erreichen könne. Dieses Verhalten bestehe in: jen
(Selbstlosigkeit/Menschlichkeit), i (Treue gegen sich und andere), li (Rechtschaffenheit/
Schicklichkeit) und chih (Weisheit und Aufrichtigkeit).
Das wichtigste Prinzip, jen (Menschlichkeit) ist schwer zu verstehen; es stellt
sicher das innerste des Konfuzianismus dar. Hauptsächlich meint es selbstlose Gefühle
zwischen den Menschen. Jen ist wie die Saat, aus der alle Gute Eigenschaften des
Menschen entspringen. Jen bedeutet den Besitz dieser Qualitäten in sehr hohem
Maße. Die tatsächliche Bedeutung des jen in unserem täglichen Leben ist sehr eng
verbunden mit der Gegenseitigkeit. Laut Konfuzius bedeutet dies nicht, daß man einem
anderen nicht das zufügen soll, was man selbst nicht will, sondern, wie er es ausdrückt:
Wenn dir etwas an deinem rechten Nachbarn nicht gefällt, übertrage es nicht auf deinen
linken; wenn dir etwas an deinem linken Nachbarn nicht gefällt, übertrage es nicht auf
deinen rechten.(McNaughton, 1974).
Vermutlich hat Konfuzius einst die Gegenseitigkeit (shu) als Innerstes seiner
selbst gesehen. Konfuzius sagt: "Es gab nie einen Fall, wo ein Mensch, der die
Gegenseitigkeit nicht verstanden hat, wirklich mit anderen kommunizieren konnte, welche
Schätze er auch sonst in sich trug." (McNaughton, 1974). Das bedeutet, jen zu
besitzen setzt voraus, shu zu besitzen; man muß sich also in die Haut des anderen
versetzen können, man muß fähig sein, mit anderen zu empfinden.
Das Zweitwichtigste Prinzip ist i; das heißt Treue, Loyalität oder
Gerechtigkeit. Wie die Definition nahelegt, ist auch dieses Prinzip sehr Bedeutsam für
soziale Bindungen. Allerdings ist es, ebenso wie jen, sehr schwer zu erklären.
Möglicherweise ist es einfacher, i mit seinem Gegenteil zu erklären; persönliche
Interessen und Profit. I ist der Teil der menschlichen Natur, der uns erlaubt,
hinter persönlichen, schnellen Profit zu sehen, und uns zur eigentlichen Treue des
Menschen zu erheben, die uns mit anderen Menschen verbindet.
(Yum, 1987). I besagt, menschliche Beziehungen basieren nicht auf persönlichen
Profit, eher auf der Verbesserung des Allgemeinguts.
Wenn jen und i der geistige Inhalt des ethischen Konfuzianischen Systems
ist, dann ist li (Schicklichkeit, Rechtschaffenheit, Achtung vor sozialen Formen)
seine äußere Ausprägung. Als objektives Kriterium für sozialen Anstand, wird li
als grundlegendes System von Regeln des feinen Benehmens in der menschlichen Gesellschaft
betrachtet. Mencius vermutete, li entstand aus der Nachgiebigkeit gegenüber
anderen und Vorbehalten gegenüber uns selbst. Laut Konfuzius folgt li auf jen,
also daraus, selbstlos gegenüber anderen zu sein. Nur wenn die Menschen sich selbst
überwinden, und so zur Treue zurückkehren können, können sie Menschlichkeit erreichen.
Andererseits wird Rechtschaffenheit ohne Menschlichkeit als leer und sinnlos betrachtet.
4. Der Einfluß des Konfuzianismus auf
zwischenmenschliche Beziehungsmuster
Mindestens drei der vier Hauptprinzipien des Konfuzianismus haben also direkten
Einfluß auf soziale Bindungen. Unter solch strengem Einfluß haben ostasiatische Länder
zwischenmenschliche Beziehungsmuster entwickelt, die sich von der Individualistischen
Sichtweise Nordamerikas grundlegend unterscheiden (s. Anlage1)
4.1 Partikularistische statt universalistische
Beziehungen
Zwischenmenschliche Beziehungen sind im Konfuzianismus nicht universalistisch, sondern
partikularistisch. Wie bereits weiter oben beschrieben, werden herzliche Gefühle des jen
in Abhängigkeit vom Verhältnis einer Person zu einer anderen gezeigt. Die Ethik im
Konfuzianistischen Denken ist demnach auf den Beziehungen und der jeweiligen Situation
aufgebaut, und nicht so sehr auf einen unumschränkten und schwer verständlichen Gut.
Anstatt dieselben Regeln auf jeden anzuwenden, mit dem die Einwohner Ostasiens Umgang
pflegen, differenzieren und regulieren sie ihre Beziehung; diese ist dann abhängig vom
Grad der Vertrautheit, der Stellung der betroffenen Person und dem jeweiligen besonderen
Zusammenhang. Die Ostasiatischen Länder haben genaue Regeln des sozialen Lebens für
diejenigen ausgearbeitet, deren soziale Stellung und Verhältnis zu ihnen selbst genau
bekannt ist, aber sehr wenig universelle Regeln für Personen, die unbekannt sind.
Aus Sicht der Amerikaner stellt sich das so dar, als würde man gegen die heilige
Pflicht der Fairneß und Gleichheit verstoßen, die die Werte der Individualität
verkörpern. In Nordamerika sind zwischenmenschliche Beziehungen nicht partikularisiert.
Eher ist man dazu bereit, jeden als eigenständige Persönlichkeit zu sehen, und
entsprechend generalisierte und objektive Regeln anzuwenden. Zum Beispiel ist es in den
USA durchaus normal, "Hi" oder "Guten Morgen" zu jedem zu sagen, dem
man auf dem morgendlichen Spaziergang trifft, oder einfach mit jemandem zu reden, der vor
einem in der Schlange steht. Wenn man aber "Hallo" oder Guten Tag" zu einem
Fremden in Korea sagt, würde man eher als äußerst unfreundliche Person betrachtet. Die
Einstellung der Ostasiaten besagt, es sei menschlicher, den speziellen Zusammenhang und
die betroffenen Personen einzubeziehen, um Handeln und Verhalten zu verstehen, als sie mit
Hilfe generalisierter Regeln zu berechnen, die bis zu einem gewissen Grad unpersönlich
sind.
4.2 Langfristige, abhängige Beziehungen statt
kurzfristige, sich auszahlende oder verpflichtende Beziehungen
Beziehungen als eine Verkörperung des jen ist das zentrale Konzept im
Konfuzianismus, genauso, wie die Individualität das wichtigste Konzept in der
Nordamerikanischen Kultur ist. Wenn sich die Menschen in Nordamerika auf freiwilliger
Basis zu bestimmten Zwecken treffen, sind sie trotzdem alle gleich und unabhängig; die
Menschen gehen in oder verlassen Vereine ohne ernsthafte soziale Sanktionen seitens der
Gruppe. Verpflichtungen und Verbindlichkeiten werden oft als Beschneidung der eigenen
Unabhängigkeit und Handlungsfreiheit betrachtet. Beziehungen sind
symmetrisch-verpflichtend, das bedeutet, sie müssen sich so weit als möglich auszahlen,
oder aber vertraglich bedingt; man verpflichtet sich gegenüber einer Einrichtung, oder es
ist eine geschäftliche Verbindung mit einem Vertragspartner. (Condon & Yousef, 1975)
Im Gegensatz dazu betrachtet die konfuzianische Philosophie Beziehungen als ergänzend
oder asymmetrisch und sich gegenseitig verpflichtend. Eine Person ist sozusagen für immer
anderen verpflichtet, die umgekehrt selbst durch andere Verpflichtungen an diese Person
gebunden sind. Auf Abhängigkeit wird nicht herabgesehen. Sie ist im Gegenteil wichtiger
Bestandteil der zwischenmenschlichen Beziehungen. In diesem System der Gegenseitigkeit
rechnet niemand das gegeneinander auf, was er gibt oder bekommt. Solche Berechnungen
würden auf schnellen persönlichen Profit abzielen; das würde aber dem Prinzip der
gegenseitigen Treue, des oben dargestellten i, widersprechen. Es ist beispielsweise
in Korea unüblich, wenn eine Gruppe von Freunden, Kollegen, oder Chefs und Untergebenen
gemeinsam weggehen und die Bezahlung für Essen oder Trinken aufteilen. Eher wird sich
jeder danach drängen, für alle zu zahlen. In Nordamerika wollen die Menschen
grundsätzlich für sich selbst zahlen. Indem man Beziehungen auf ergänzende
Verpflichtungen auslegt, erzeugt man herzliche, andauernde zwischenmenschliche
Beziehungen, aber auch die Notwendigkeit, Verpflichtungen, die sich hieraus ergeben, zu
akzeptieren.
4.3 Unterscheidung von Mitgliedern und Nichtmitgliedern
einer Gruppe
Die Kulturen Nordamerikas unterscheiden nicht so streng zwischen Mitgliedern und
Nichtmitgliedern einer Gruppe, wie das in Ostasiatischen Ländern üblich ist.
Zugehörigkeit zu einer Gruppe und die Beweglichkeit zwischen Gruppen sind normalerweise
freiwillig, darum sind langdauernde Gruppenzugehörigkeit und Loyalität zu einer Gruppe
selten.
Gegenseitige Abhängigkeit, wie sie das Konfuzianische Prinzip des i vorsieht,
setzt natürlich voraus, daß jemand vollständig in eine sehr eng verknüpfte Gruppe von
Menschen über längere Zeit aufgenommen wird, und sich damit identifizieren kann. Diese
langdauernden Beziehungen funktionieren, weil jedes Gruppenmitglied von jedem anderen
Gegenleistungen erwarten kann und weil alle wissen, daß sie sich früher oder später
aufeinander verlassen können müssen. Menschen, die in einer solchen Art von Netz
verstrickt sind, unterscheiden sehr streng zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern.
Beispielsweise gibt es unterschiede in speziellen Redewendungen innerhalb einer Gruppe im
Vergleich zu außerhalb. Was innerhalb der Gruppe gesagt wird, unterschiedet sich stark
von dem, was man außerhalb der Gruppe sagt.
4.4 Informelle statt offizielle Vermittler
Weil diese Unterscheidung so streng ist, braucht man in Ostasien einen Vermittler, um
Beziehungen zu knüpfen. Die Betonung der Schicklichkeit (li) im Konfuzianismus
führt dazu, daß man eigentümliche Rituale absolvieren muß, um neue Beziehungen zu
knüpfen, und ein Vermittler ist Teil eines solchen Rituals. Der Vermittler hat eine
innige Beziehung zu beiden Gruppen und kann damit beide zusammenführen. Eine der
Strategien solcher Vermittler, zwei Parteien zusammenzuführen, ist etwa, schon bestehende
Verbindungen zwischen beiden zu erwähnen, um so eine Verbindung herzustellen; dies
geschieht, indem man beispielsweise erklärt, beide hätten an der gleichen Universität
studiert, oder beide seien ursprünglich aus derselben Region. Oder aber, der Vermittler
nutzt seine eigenen Verbindungen zu beiden Parteien, um eine Art indirekter Mitgliedschaft
in einer neuen Gruppe zu schaffen, indem er etwa erklärt, jemand sei ein ehemaliger
Schulkamerad, oder der Andere arbeite in derselben Firma, wie er selbst.
In den USA sind Vermittler meist berufsmäßig oder geschäftlich mit den Gruppen
verbunden, die vermittelt werden wollen; also etwa Anwälte, Unterhändler,
Heiratsvermittler und dergleichen. Der Vermittler ist ein außenstehender Dritter, der
keine Ahnung von den Eigenschaften beider Parteien hat, außer denen, die er eventuell aus
zweiter Hand erfahren hat. Der Vermittler verhandelt mit allen Parteien, ist aber selbst
kein Teil von irgendeiner Partei. Beziehungen zu benutzen, um ein angestrebtes Ziel zu
erreichen, ist zwar auch in den USA üblich, wird dort aber eher als Vetternwirtschaft
herabqualifiziert, und könnte auch als Aufgabe der eigenen Freiheit ausgelegt werden.
4.5 Überschneidung privater und geschäftlicher
Verbindungen
Das Konfuzianische Konzept des i führt zu einer strengen Ablehnung rein
geschäftlicher Beziehungen, die auf einer berechnenden und vertraglichen Basis beruhen.
Deshalb geht die Tendenz in Ostasien dazu, geschäftliche und private Beziehungen zu
vermischen. Obwohl der eigentliche Grund der Treffen geschäftlicher Natur ist, fühlen
sich beide Parteien besser, wenn die Geschäftsbeziehung auf einer persönlicheren,
herzlichen Basis abläuft. Auf den Prinzipien des sozialen Miteinanders beruhend, sollte
man bestimmte Regeln einhalten, wenn man in Korea eine fruchtbare Geschäftsbeziehung
aufbauen will (Lee, 1983): (1) möglichst häufige Kontakte über einen möglichst langen
Zeitraum zu pflegen, (2) eine persönlichere, herzlichere Bindung anstreben, (3) wenn
möglich, gemeinsam etwas erleben, wie Sportveranstaltungen, drinks, gemeinsame Reisen,
(4) beiderseitiges Verständnis auf persönlicher Ebene und in persönlichen Situationen
erzeugen, (5) ein Vertrauensverhältnis und eine positive Einstellung beim
Verhandlungspartner erzeugen. Das Ziel ist, den Unterschied zwischen einer privaten und
einer geschäftlichen Beziehung möglichst gering zu halten. Es ist erwiesen, daß aus
einem guten privaten Verhältnis automatisch eine gute geschäftliche Beziehung folgt, da
sie Vertrauen und gegenseitiges Entgegenkommen erfordert. Solche geschäftlichen
Beziehungen sind erfahrungsgemäß längerdauernd, und nicht auf eine geschäftliche
Transaktion begrenzt.
In den USA gibt es eine klare Zweiteilung zwischen privatem Leben, und dem
Geschäftsleben. Da die wichtigste Aufgabe des Individuums die Erreichung einer möglichst
hohen Position innerhalb der Gesellschaft ist, geht die Tendenz eher dahin, beide Leben
soweit als möglich zu trennen. Da der Begriff des "organisierten Menschen"
entgegengesetzt zu einem selbstbewußten Individuum ist, ist man eher ängstlich, ein
"organisierter Mensch" zu werden (Bellah et al., 1985). Viele betrachten das
Privatleben als Schutzschild gegen den Druck eines wettbewerbsbetonten geschäftlichen
Lebens, und deshalb muß es verteidigt werden.
5. Der Einfluß des Konfuzianismus auf
Kommunikationsformen
Da sich der Konfuzianismus hauptsächlich mit sozialen Bindungen auseinandersetzt, hat
es die Kommunikationsformen in Ostasien sehr stark beeinflußt. Hauptsächlich hat es
dafür gesorgt, daß Umgangsformen entwickelt wurden, die helfen, angemessene menschliche
Beziehungen zu entwickeln und zu fördern. Ostasien und Nordamerika werden im Folgenden
verglichen.
5.1 Verlauforientierte statt folgeorientierte
Kommunikation
Da die wichtigste Funktion der Kommunikation in der Konfuzianischen Philosophie das
Aufbauen, Weiterentwickeln und Erhalten sozialer Beziehungen ist, liegt der Schwerpunkt
auf einer Art von Kommunikation, die solche Beziehungen fördert. Es ist vor allem sehr
wichtig, sich in Ostasien zunächst auf small talk einzulassen, bevor man zum
Geschäftlichen übergeht, und über persönliches zu reden, besonders Informationen, die
helfen, die anwesenden Personen in den richtigen Zusammenhang zu bringen. Kommunikation
wird als unendlicher Erklärungsprozeß betrachte, wie Cheng 1987 ausführt, der nicht in
Sender, Nachricht, Kanal und Empfänger zerlegt werden kann. Es setzt voraus, daß beide
Parteien mit einem immer weiter fortschreitenden Verlauf beschäftigt sind, und daß die
Beziehung in Fluß bleibt.
Im Gegensatz dazu ist die Kommunikation in Nordamerika dazu da, Unabhängigkeit und
Selbsterfüllung immer weiter zu treiben. So kommt es, daß die Folge des Gesprächs
wichtiger ist, als der Verlauf. Mit kurzfristigen, schnell endenden Beziehungen, ist
Kommunikation meist eine Handlung, die nur von kurzer Dauer ist, und später durch eine
neue Kommunikation ersetzt wird. Greifbare Ergebnisse in Form von Freunden gewinnen,
Gegner besiegen und Selbsterfüllung zu erreichen, ist die wichtigste Bedeutung der
Kommunikation.
5.2 Genau Differenzierende statt weniger differenzierende
Redewendungen
Ostasiatische Sprachen sind sehr kompliziert und unterscheiden genau zwischen der
Stellung in der Gesellschaft, dem Grad der Vertrautheit, dem Alter, Geschlecht und dem
Grad der Förmlichkeit. Außerdem existiert ein umfangreiches und vollendetes sprachliches
"Ehrensystem" in den Sprachen Ostasiens (Brown & Levinson, 1978; Ogino,
Misono & Fukushima, 1985). Diese Differenzierungen bestehen nicht nur aus
Redewendungen, sondern stecken auch in Verben, Pronomen und Nomen. Sie sind eine Folge
konfuzianischer Regeln der Ethik, die den richtigen menschlichen Beziehungen (i)
und der Schicklichkeit (li) die größten Werte zurechnen. McBrian hat 1987
erklärt, daß die Sprache vollständiger Bestandteil eines Systems sozialer Schichten
ist, und die hierarchisch gegliederte Konfuzianische Gesellschaftsordnung spiegelt sich im
streng untergliederten Sprachsystem Koreas wider.
Martin hat 1964 herausgefunden, daß einer der wesentlichen unterschiede zwischen der
Englischen, japanischen und Koreanischen Sprache die Unterteilung in bestimmte
Sprachniveaus ist. Sowohl im Koreanischen, als auch in der japanischen Sprache gibt es
zwei wichtige sprachliche Stufen: die eine Stufe ist die Anrede, die andere die der
Verehrung. Die Stufe der Anrede ist unterteilt in normal, höflich und ehrerbietig,
während die Stufe der Verehrung in demütig und neutral unterteilt ist (Martin, 1964).
Die ehrerbietige Ansprache wird den Handlungen des Empfängers zugerechnet, während
demütige Redewendungen sich auf Handlungen des Senders beziehen - anders herum würden
die beiden Stufen nicht benutzt werden. Die ehrerbietigste Sprachform wäre eine
ehrerbietige Anrede des Empfängers mit der demütigen Form des Senders zu vereinen.
Die Englische Sprache enthält auch verschiedene Redewendungen, die die Vertrautheit
oder den Unterschied der Stellung zwischen Redner und Zuhörer widerspiegeln.
Normalerweise wird aber die englische Form der Anrede ausreichend beschrieben durch eine
einfache Zweiteilung: Vorname gegenüber Titel plus Nachname (Brown & Ford, 1964).
Andere europäische Sprachen spiegeln auch diese Unterteilung in persönliche und
unpersönliche Anrede wider, wie zum Beispiel im französischen durch tu und vous.
Vorname oder Titel plus Nachname werden entweder von beiden Parteien benutzt (beide Seiten
benutzen die gleiche Form der Anrede), oder aber, sie werden unterschiedlich verwendet
(einer benutzt den Vornamen, der andere Titel plus Nachname). Die Stellung in der
Gesellschaft und die Vertrautheit der Gesprächspartner bestimmen auch die Grußformeln,
die Verwendung finden. "Hi" ist beispielsweise gebräuchlich zwischen guten
Freunden oder Bekannten, oder auch gegenüber Untergebenen, währende "Guten
Tag" oder ähnliche förmliche Anreden eher bei Fremden oder Höhergestellten
verwendet werden (Brown & Ford, 1964). Im Gegensatz dazu fanden Ogino, Misono und
Fukushima (1985), die in Japan arbeiteten, 210 verschiedene Arten der Anrede heraus, die
in 8 verschiedenen Fällen verwendet werden, und sich in 20 verschiedene Kategorien
einteilen lassen. In modernem "American English" bedeutet das Ändern der
Anredeform von gegenseitigem Verwenden von Titel plus Nachname in die Verwendung von
Vornamen meist nur eine sehr geringe Zuname der Vertrautheit, manchmal findet dieser
Wechsel schon nach wenigen Minuten eines Gesprächs mit einem bis dahin Fremden statt. In
der Ostasiatischen Kommunikation kann das sehr lange dauern, oft wird eine eher förmliche
Art der Anrede auch nach vielen Jahren der Bekanntschaft nicht aufgegeben.
Im Englischen ist der Grad der Vertrautheit vor allem durch die Anrede bestimmt,
während in Korea oder Japan Pronomen, Verben und Nomen noch eine zusätzliche
Unterscheidung beinhalten. So wird im Englischen immer das gleiche Wort verwendet, um
"essen" zu sagen, nämlich "to eat", unabhängig von der Person, die
angesprochen wird. Im koreanischen gibt es aber verschiedene Formen, um "essen"
zu sagen: muk-da (normal), du-shin-da (höflich), und chap-soo-shin-da
(ehrerbietig). Darüber hinaus erstreckt sich diese sprachliche Unterscheidung dann auch
auf das Nomen, das im Zusammenhang mit dem Verb verwendet wird. So bedeutet Reis je nach
dem verwendeten Verb: bap (normal), shik-sa (höflich) oder jin-ji
(ehrerbietig).
Im Englischen wird das Pronomen "you" für jedermann verwendet, ob alt oder
jung, Präsident der USA oder der Junge von nebenan. In Ostasien gibt es Unterschiede, je
nachdem, wie höflich man sein will, oder wie gut man jemanden kennt. Man ist auch oft
gezwungen, eine ehrerbietige Anrede anstelle eines Pronomens zu benutzen, zum Beispiel
indem man anstelle des Pronomens den Namen benutzt: "Ist das Herr Wangs Buch?"
anstatt "Ist das Ihr Buch?" (Chao, 1956, p. 218).
Ausdrücke, um die augenblickliche Funktion einer Person anzuzeigen, wie zum Beispiel
Professor, Tante, Student usw. werden auch dann anstelle des Pronomens "du" oder
"sie" verwendet, wenn sich nur zwei Personen miteinander unterhalten, weil sie
besser das Verhältnis zwischen zwei Gesprächspartnern beschreiben können, als die
normale Form der Anrede. Da der Konfuzianismus vorschreibt, daß man die Schicklichkeit
innerhalb einer gesellschaftlichen Beziehung beachten soll (li), betrachtet man das
verallgemeinernde "du" oder "sie" als unfähig, dieses Verhältnis in
den meisten Gesprächssituationen zu beschreiben. Diese Differenzierung sprachlicher
Redewendungen in ostasiatischen Kulturen unterstützt das allgemeingültige
sprachpsychologische Prinzip, daß sich für sprachlich bestimmte Kulturen der Grad der
sprachliche Differenzierung je nach der Wichtigkeit dieses Gebietes für die gesamte
Kultur verstärkt (Brown & Ford, 1964). Die Wichtigkeit gesellschaftlicher Beziehungen
in Konfuzianischen Kulturen hat daher die Differenzierung innerhalb der Sprachen
entsprechend gefördert, um den Grad einer Beziehung auch ausdrücken zu können.
5.3 Schwerpunkt auf indirekter, statt auf direkter
Kommunikation
Die meisten Kulturen haben sowohl direkte, als auch indirekte Kommunikationsformen.
Metaphern, Hinweise, Andeutungen, Anspielungen und Ironie sind nur einige wenige Beispiele
für Arten der indirekten Kommunikation, die man in den meisten Sprachkulturen finden
kann. Searle (1969) stellt fest, daß indirekte Sprachformen dann verwendet werden, wenn
der Sender dem Empfänger mehr sagen will, als er dies mit Worten tatsächlich tut; er
oder sie bezieht sich dabei auf Hintergrundinformationen, die beiden Gesprächspartnern
bekannt sind, und indem sich der Sender auf die Fähigkeiten des Empfängers verläßt,
mit seinem Verstand die richtigen Folgerungen zu ziehen. Brown & Levinson (1978) haben
herausgefunden, daß die indirekte Sprache wohl hauptsächlich deshalb überall verwendet
wird, weil dadurch die Nutzung grundlegender Höflichkeitsstrategien überall gefördert
wird.
Obwohl indirekte Kommunikation überall verbreitet zu sein scheint, ist der Grad seiner
Vollkommenheit von Kultur zu Kultur verschieden. Zum Beispiel bevorzugt die ?malagisische?
Kultur die indirekte Kommunikation (Keenan, 1974), während bestimmte ?Sabrische? Kulturen
direkte Sprache verwenden (Katriel, 1986). Rosaldo (1973) sagte, daß der Hang der
Amerikaner und Europäer zu direkter Kommunikation mit wissenschaftlich-demokratischem
Inhalt sich in verschiedenen kulturellen Zusammenhängen wohl nicht bewähren wird. In der
?Ilongotischen? Gesellschaft wird die indirekte Kommunikation als autoritär und
überheblich angesehen, während die indirekte Sprache weit besser auf die persönlichen
Wünsche und Bedürfnisse eingehe.
Brown & Levinson (1978) führten aus, daß das Phänomen der Höflichkeit
(indirekte Kommunikation ist ein Teilaspekt davon) sich vom Begriff "Gesicht"
ableitet, dem öffentlichen Profil, das jeder für sich selbst in Anspruch nimmt. Katriel
(1986) sagt, indirekte Kommunikation sei Ausdruck eines vorherrschenden Interesses für
das "Gesicht" des anderen. Das konfuzianische Erbe der Rücksichtname auf andere
und der Sorge um die richtige Beziehung zwischen den Menschen führte dazu, daß sich
Kommunikationsformen entwickeltem die dafür sorgen, daß andere ihr "Gesicht"
behalten. Indirekte Kommunikation hilft, die Verlegenheit einer Zurückweisung anderer
oder Uneinigkeit zwischen Gesprächspartnern zu vermeiden; dabei behält der andere sein
Gesicht, und die Beziehung bleibt intakt. Lepra sagte 1976, daß "das Gesicht
bewahren" einer der wichtigsten Einflußfaktoren auf das Verhalten der Japaner ist.
Sie führte dabei einige konkrete Mechanismen an, wie man das Gesicht bewahrt, wie etwa
mittelbare Kommunikation( indem man einen Dritten benutzt, um eine Nachricht zu
übermitteln), "refracted" Kommunikation (man redet mit jemand, meint aber einen
Dritten, der daneben steht), und als Delegierter zu handeln (man überbringt die Nachricht
eines anderen). Dies alles sind indirekte Formen der Kommunikation.
Die Nutzung der indirekten Kommunikation in Ostasien ist durchdringend und oft
überlegend. Beim Vergleich japanischer und amerikanischer Firmen kann man feststellen,
daß in amerikanischen Firmen die Mitarbeiter meist klar, genau und präzise miteinander
reden, während Japaner oft absichtlich vage und ungenau miteinander kommunizieren
(Hirokawa, 1987; Pascale & Athos, 1981). Die wirklich extreme Nutzung der indirekten
Kommunikation wird durch das folgende Beispiel belegt: es gibt sechzehn verschieden
Möglichkeiten im japanischen, einem "nein" auszuweichen. (Imai, 1981)
Man hat auch festgestellt, daß es wesentliche Unterschiede im Grad der Nutzung einer
indirekten Kommunikation zwischen Nordamerika und Ostasien gibt. Im Amerikanischen sagt
man zum Beispiel: "Die Tür ist offen", wenn man indirekt sagen will, ein
anderer solle die Tür schließen. In Japan geht man noch einen Schritt weiter, man sagt:
"Es ist kalt hier", was noch weiter geht, weil hier das Wort "Tür"
überhaupt nicht auftaucht (Okabe, 1987) Dieses höhere Niveau der indirekten
Kommunikation zeigt sich auch darin, wie eine Japanerin sich verhielt, um ihrem Ehemann zu
sagen, daß sie ihre Schwiegermutter nicht mag: Sie machte einige leichte Fehler beim
Anfertigen ihrer Blumengebinde (Lebra, 1976).
Eine von Grice's Grundregeln kooperativer Konversation ist "Stil", das
bedeutet, der Sprecher sollte unklare Ausdrücke und Zweideutigkeit vermeiden (Grice,
1975). Diese direkte Kommunikation ist in Nordamerika normal, abgesehen, von der
extensiven Nutzung indirekter Kommunikation. Grices Prinzipien würden in Ostasien keine
Anerkennung finden. Okabe zeigte 1987, daß in Japan die traditionellen
Kommunikationsregeln , die vorschreiben, nichts zu verlangen, abzulehnen, sich selbst zu
behaupten oder einen anderen ständig zu kritisieren, sehr viel wichtiger sind, als Grices
oben erwähnte Grundregel.
Reischauer (1977, p.136) führte aus, daß die Japaner grundsätzlich sprachlichen
Fähigkeiten mißtrauen; sie denken, dies zeige Oberflächlichkeit, im Gegensatz zu solch
tiefergehenden, aber leiseren Kommunikationsformen, wie Andeutungen oder sonstige
nichtverbale Ausdrücke. Trotzdem gibt es sowohl in Ostasien, als auch in Nordamerika
indirekte Kommunikation. Ihr Nutzen ist weiter verbreitet und mehr akzeptiert in Ostasien,
als in Nordamerika.
5.4 Empfänger statt Sender im Mittelpunkt
Die Kommunikation in Nordamerika stellt meistens den Sender in den Mittelpunkt, darum
hat man bis vor kurzem das lineare Einbahn-Modell vom Sender zum Empfänger bevorzugt. Man
hat immer wieder versucht, den Sender zu trainieren, damit er bessere Botschaften
formuliert, seine Glaubwürdigkeit verbessert wird, seine Fähigkeit der Artikulation
verbessert werden, usw. Im Gegensatz dazu lag der Schwerpunkt in Ostasien immer darauf,
zuzuhören und zu interpretieren.
Cheng (1987) identifizierte unendliche Interpretation als eines der wichtigsten
Prinzipien in der chinesischen Kommunikation. Dieser Prozeß beinhaltet, daß der
Empfänger im Mittelpunkt steht und man eher zuhört, als selbst zu reden. Lebra (1976,
p.123) sagt, "vorwegnehmende Kommunikation" sei üblich in Japan. Der Sprecher
muß nichts sagen oder fragen; die anderen versuchen, seine Wünsche und Bedürfnisse zu
erraten. Damit begegnen sie gleich dem Problem, beschämt zu sein, wenn sie die zaghaft
geäußerten Wünsche ihres Gastes nicht befriedigen können. In einem solchen Fall fällt
die Hauptlast der Kommunikation auf den Empfänger, nicht auf den Sender. Eine Person, die
"einen hört und zehn versteht" wird als intelligenter Gesprächspartner
geschätzt. Schnell zu begreifen, und sich schnell einer anderen Position anzupassen,
bevor der andere seine Meinung geäußert hat, ist eine wichtige Fähigkeit. Die größte
Verwirrung von Ostasiatischen Studenten im Ausland entsteht dann, wenn sie bei Besuchen in
Amerikanischen Häusern immer wieder gefragt werden, was sie denn wollen. In ihrer Heimat
wird vorausgesetzt, daß der Gastgeber oder die Gastgeberin über die Bedürfnisse ihrer
Gäste gleich Bescheid wissen, und sie ohne nachzufragen befriedigen. Dieser Unterschied
ist da, weil man in Amerika wert auf die freie Auswahl legt; in Ostasien hingegen ist es
wichtig, "vorwegnehmende Kommunikation" zu betreiben und dementsprechend seine
Gäste zu versorgen.
Da der Schwerpunkt auf indirekter Kommunikation liegt, wird es schwierig für den
Empfänger, eine tiefergehende Bedeutung zu spüren und zu verstehen. In Nordamerika
versuchte man, die Effektivität des Senders zu verbessern, indem man spezielle
Sprachtrainings, zum Beispiel Debattieren oder Reden halten, entwickelte; in Ostasien
hingegen versucht man, den Empfänger empfänglicher für diese unterschwelligen
Strömungen zu machen. Die höchste Stufe hat man erreicht, wenn jemand den Geist eines
anderen von seinen Vorurteilen reinigt, und alles klar und leicht verständlich macht
(Yuji, 1984).
Seit kurzem geht die Tendenz in den USA auch dazu, besser zuzuhören. Sowohl Schüler
der Kommunikation, als auch Praktiker haben inzwischen bemerkt, daß zuhören nicht
deshalb wichtig ist, weil es hilft, die Kommunikation besser zu verstehen
(Begriffsvermögen), sondern, wichtiger noch, durch seine Wirkung auf die Psyche
(Befriedigung, daß jemand zuhört).
6. Zusammenfassung
Der vorhergehende Text verglich die Ostasiatische Betonung sozialer Bindungen mit dem
Schwerpunkt der Nordamerikaner auf Individualismus. Diese zwei unterschiedlichen
Schwerpunkte haben sehr verschieden Formen des Zusammenlebens und der Kommunikation zur
Folge. Die vorstehenden Schlußfolgerungen sind natürlich nicht absolut. Beide Kulturen
orientieren sich bis zu einem gewissen Grad in beide Richtungen. Es ist einfach
wahrscheinlicher, daß Ostasiaten bestimmte Kommunikationsmuster wie zum Beispiel
indirekte Kommunikation öfter benutzen, als das in Nordamerika der Fall ist, aber auch
umgekehrt.
Die frühere Übernahme des Individualismus und damit verbundenen Begriffen, wie
Gleichheit, Fairneß und Gerechtigkeit, und seine weitreichenden Einflüsse auf das ganze
gesellschaftliche Geflecht in Nordamerika sind sehr gut dokumentiert. Im Gegensatz dazu
merkte man, daß soziale Beziehungen als Schlüssel zu ostasiatischen Ländern wichtig
sind, erst sehr spät. Untersuchungen des japanischen Führungsstils ergaben, daß einer
der wichtigsten Unterschiede zwischen dem Führungsstil in Japan, und dem in Nordamerika,
die persönlichere wechselseitigere Beziehung zwischen Angestellten untereinander, aber
auch zwischen Angestellten und der Führungsebene in Japan ist. Diese zwischenmenschlichen
Beziehungen bedingen Loyalität und hohe Produktivität. Es ist nicht ungewöhnlich.
sofort zu behaupten, diese Beziehungen seine nur eine Folge anderer Organisationsformen,
wie lebenslange Beschäftigung. Wenn man aber unter die Oberfläche blickt, bemerkt man,
daß es eher das Erbe einer tausendjährigen Konfuzianischen Einflußnahme ist, man findet
ähnliche zwischenmenschliche Beziehungsmuster nämlich auch außerhalb großer
Unternehmen. Daraus folgt, daß Versuche, einen ähnlichen Führungsstil in Nordamerika
mit seiner vollkommen anderen philosophisch-kulturellen Orientierung hin zum
Individualismus zu etablieren, nicht sehr befriedigend verlaufen. Zuerst muß sich die
gesamte Gesellschaft ändern.
Leider verlagert sich aber eine bisher vorhanden gewesene Verpflichtung gegenüber
größeren Gruppen, wie der Gemeinde, Vereinen und anderen Organisationen mehr und mehr
zum Individualismus. Vermutlich hat der neue Individualismus diese Entwicklung zur Folge,
er führte dazu, daß die meisten Amerikaner in ihrer eigenen Individualität gefangen
sind, und die Fähigkeit verloren haben, ihr Bedürfnis nach Mitarbeit zu äußern (Bellah
et al., 1985). Obwohl Individualismus selbst auch ein Wert ist, führt ein solcher, der
nicht davon begleitet wird, sich in größeren Gruppen zu engagieren möglicherweise zu
einer Isolation, in der das Leben selbst bedeutungslos wird.
Wenn es stimmt, daß Menschen gesellschaftliche Tiere sind, ist es nötig, einen
Ausgleich im kulturellen System zu finden, also an Individualität zu glauben, aber
trotzdem nicht die Notwendigkeit vergessen, mit anderen zusammenzutreffen. Amerikaner
haben schon immer mehr freiwillige Zusammenschlüsse und Vereine besucht, als die Bürger
in jedem anderen Land der Welt. Man kann die neuen Tendenzen zur
"ich"-Generation und zum Beispiel zu Börsenmaklern, die nur nach schnellen
persönlichen Gewinnen streben, indem sie ihrer Firma, oder der ganzen Gesellschaft nach
oben helfen, als pathologische Symptome einer Individualität betrachten, die bis zum
Extrem betrieben wird. Bellah et al. (1985, S. 284) haben festgestellt, daß die
"soziale Ökologie nicht nur durch Kriege, Völkermord oder politische Unterdrückung
zerstört wird, sondern auch durch eine Zerstörung der feinen Bänder, die Menschen
aneinander binden, sie ängstlich und allein zurücklassend." Sie sagen klipp und
klar, daß wir unsere soziale Ökologie wiederherstellen können, indem wir die Leute für
unsere verwirrende Verbindung und gegenseitige Abhängigkeit sensibilisieren.
Der Einfluß des Konfuzianismus auf zwischenmenschliche Beziehungen ist der
Zusammenarbeit, herzlichen menschliche Beziehungen, Rücksichtnahme auf andere und
Harmonie innerhalb einer Gruppe förderlich, aber er hat auch seine Nachteile. Solche
sozialen Zwänge haben zur Folge, daß sich Initiativen einzelner und spontane Ideen nur
sehr langsam entwickeln; ja, manche Individuen fühlen ihre Unabhängigkeit erstickt. Weil
die Trennung in Mitglieder und Nichtmitglieder einer Gruppe so streng ist, befürchtet
man, daß Vetternwirtschaft unvermeidlich ist. Mit so engbegrenzten gesellschaftlichen
Bindungen haben Menschen zwar einen gutentwickelten Sinn für Verpflichtungen innerhalb
der Gruppe, aber ihre Verpflichtungen einer übergeordneten Körperschaft gegenüber sind
nur sehr schwach.
Ironischerweise ist die Lösung sowohl für den übertrieben Hang zur Individualität
der Amerikaner, als auch für Ostasien mit seiner Gruppenbildung dieselbe: sich für
andere zu öffnen. Für Nordamerikaner bedeutet dies, ihre Grenzen bei der
Selbsterfüllung zu akzeptieren, sich einer Gruppe anzuschließen, und das Gemeinwohl
über das eigene zu stellen. Für Ostasien bedeutet es, ihre Gruppengrenzen aufzuweichen,
und Außenstehende, die menschlich sind und dem Gemeinwohl verbunden, zu akzeptieren.
Die Ostasiatische Gesellschaft hat sich nach dem zweiten Weltkrieg wesentlich
verändert. Westliche Werte nehmen seither unübersehbaren Einfluß auf die Gesellschaft
in Ostasien; Filme und Fernsehprogramme aus dem Ausland sind allgegenwärtig. Es ist aber
nicht einfach, mehrere hundert Jahre Konfuzianischer Einflüsse von heute auf morgen
aufzugeben. In Japan bevorzugen zum Beispiel mehr junge Menschen, als alte, einen
Vorgesetzten, der menschlich und sympathisch ist, anstelle eines tüchtigeren, der sie
aber nicht motivieren kann (Dore, 1973). Ähnliches läßt sich auch in Korea feststellen.
Koreanische Arbeiter, vor allem in Handwerksbetrieben, haben auf die Frage, warum sie ihre
Anstellung wechseln, eher bessere menschliche Bindungen, oder bessere Behandlung
angegeben, als bessere Bezahlung (Kim, 1984).
Es scheint aber unvermeidlich, daß die Bewohner ostasiatischer Länder zunehmend
weniger traditionell gebundene Beziehungen haben, da die Gesellschaft sich fortentwickelt,
mehr industrialisiert und beweglicher ist. Es wird eine neue Herausforderung sein, diesen
Menschen zu helfen, mit ihrem Leben ohne den Schutz einer engen Bindung an eine Gruppe
fertig zu werden, und zu lernen, Befriedigung darin zu finden, eigene Freiheit und
Selbsterfüllung zu erleben.